Kleine Geschichte der Seminarbibliothek
Zur Entstehung des Philosophischen Seminars
Im Jahr 1919 wird die Kölner Universität durch die Erweiterung der 1901 errichteten Handelshochschule zur Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät neu gegründet.
Die Einrichtung einer Philosophischen Fakultät datiert auf das Jahr 1920. Mit Beginn des Sommersemesters 1920 wird das Philosophische Seminar gründet.
Bis 1945 bilden Pädagogik und Psychologie noch gemeinsam mit dem Philosophischen Seminar eine Einheit.
Seit 1935 (Einweihung des Hauptgebäudes) ist das Philosophische Seminar im Hauptgebäude beheimatet.
Aufbau und Entwicklung der Seminarbibliothek
Den Grundstock zu einer eigenständigen Seminarbibliothek bildet die Bibliothek des 1921 verstorbenen Philosophieprofessors und Geheimrates Benno Erdmann (*1851; †1921), der zwischen 1878 und den Jahren des ersten Weltkrieges an fünf preußischen Universitäten lehrt.
Dem Philosophischen Seminar gelingt es, mit Mitteln aus einer Stiftung des Generaldirektors der Fortuna AG und der Rheinischen AG für Braunkohle (heute Rheinbraun), Dr. Paul Silverberg (*1876; † 1959), im Jahr 1921 die Bibliothek aus dem Nachlass des Verstorbenen zu erwerben.1
Viele alte Bücher der Seminarbibliothek zeugen mit ihrem Exlibris „Prof. Benno Erdmann“ noch von dieser frühen Aufbauphase der Bibliothek.
Auf dem Fundament des Erdmann-Nachlasses wächst der Bestand der Seminarbibliothek innerhalb der ersten Dekade nach der Gründung des Seminars auf 3000 Bände an.2
Nach dem Zweiten Weltkrieg holt der damalige Geschäftsführende Direktor des Philosophischen Seminars, Prof. Dr. Heinz Heimsoeth, den Pädagogen und Philosophen Theodor Ballauf (*1911; †1995) an das Seminar. Ballauf, der vor dem Krieg auch Bibliothekar an der Preußischen Staatsbibliothek gewesen ist, soll den rasch anwachsenden Bestand der Seminarbibliothek ordnen3. Er kommt diesem Auftrag nach und erhält 1947 von Heimsoeth auch noch einen Lehrauftrag, der ihn verpflichtet, Pädagogik im Rahmen der Philosophie zu lehren4.
Es lässt sich kein schriftlich erhaltener Beleg mehr dafür finden, aber vermutlich ist es dann auch der „preußische Bibliothekar“ Theodor Ballauf, der der Seminarbibliothek eine Systematik gibt, die im Laufe der Zeit immer weiter ausgearbeitet wird.
Die Fakten über die bibliothekarische Betreuung der Seminarbibliothek in den Jahren 1920 bis 1950 liegen weitgehend im Dunkeln. Es existieren auch keine Aufzeichnungen darüber, ob und in welcher Weise die Neuerwerbungen der Seminarbibliothek während dieser frühen Periode inventarisiert werden.
Ab 1950 geben dann bis heute lückenlos erhaltene „Zugangsbücher“ Aufschluss über die Bestandsentwicklung.
Mit Übernahme der Trägerschaft der Universität durch das Land NW im Jahr 1954 erhält das Seminar erstmals eine bibliothekarische Tarifstelle.
Der derzeitige Stelleninhaber leitet die Bibliothek seit 1986.
1 Universität Köln 1919-1929. Köln 1929, S. 205
2 ebd., S. 206
3 Zitiert nach Haupts, Leo: Die Universität zu Köln im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik. Köln [u.a.]2007, S. 177
4 ebd., S. 177
Entwicklung der Seminarbibliothek seit der Übernahme der Trägerschaft der Universität durch das Land NW
Drei aufeinanderfolgende, dem jeweiligen Entwicklungsstand der nationalen bibliothekarischen Standards Rechnung tragende „Regelwerke für die Katalogisierung“ spiegeln sich in den Bibliothekskatalogen:
-Von den Anfängen bis in die 1970er Jahre bestimmen die „Preußischen Instruktionen (PI)“ die nationalen Katalogisierungsstandards.
-Anfang der 1980er Jahre werden die „PI“ von „RAK-WB“, den „Regeln für die alphabetische Katalogisierung an wissenschaftlichen Bibliotheken“ abgelöst.
-Zum ausgehenden 20. Jahrhundert werden die nationalen Katalogisierungsstandards von der deutschsprachigen Version des international verbindlichen Regelwerkes „Resource Description and Access (RDA)“ abgelöst. Seit 2016 sind die „RDA“ das Standardformat für die Katalogisierung auch an der Seminarbibliothek.
Ab 1986 werden in der Seminarbibliothek Monographien und Aufsätze nicht nur formal, sondern auch inhaltlich nach den „Regeln für den Schlagwortkatalog –RSWK“ erschlossen und in einem Zettelkatalog recherchierbar gemacht.
Bis Anfang der 2000er Jahre führt die Bibliothek ihre Titelnachweise noch über klassische Zettelkataloge (Systematischer, Alphabetischer und Aufsatzkatalog).
Nachdem die USB mit der Eigenentwicklung eines lokalen digitalen Gesamtkataloges („Kölner Universitäts-Gesamtkatalog-KUG)“ Mitte der 1990er Jahre auch für die dezentralen Campus-Bibliotheken die Möglichkeit eröffnet, Katalogdaten digital aufbereiten und in den Gesamtkatalog der Universität einbringen zu können, erwirbt die Seminarbibliothek die dafür erforderliche Software und katalogisiert in einem Zeitraum von fünf Jahren rückwirkend ihren Gesamtbestand in einen lokalen Seminar-OPAC.
Fortan ist der Bestand der Seminarbibliothek einschließlich der Aufsätze online recherchierbar.
Computer und WLAN-Hotspots halten Einzug in die Bibliotheksräume. Die bis dahin geführten Zettelkataloge werden bis auf den Systematischen Katalog1 ausgemustert. In dem durch die Entfernung der Katalogmöbel in der Bibliothek frei gewordenen Raum finden weitere Bücherregale Platz.
2010 werden sämtliche Bibliotheksregale um eine Regalebene aufgestockt. So gewinnt die Bibliothek noch einmal erhebliche Kapazitäten an Stellfläche hinzu.
2016 wird parallel zur Umstellung der Katalogisierung von „RAK“ auf „RDA“ der Seminar-OPAC als einer der ersten Bibliothekskataloge der Philosophischen Fakultät im Rahmen eines Pilotprojektes der Fakultät in den Nordrhein-Westfälischen Verbundkatalog (HBZ-Verbundkatalog) migriert. Die Bibliothek stellt dazu auf die im Verbund angewendete Katalogisierungssoftware „ALEPH“ um.
Von nun an katalogisiert die Seminarbibliothek ihre Erwerbungen online in den Verbundkatalog. Damit wird die Bibliothek unabhängig vom lokalen System und ist für den Einstieg in cloudbasierte Systeme2 gerüstet.
1 Der systematische Katalog wird weiterhin als Zettelkatalog mit einem Kartenausdruck für jedes neu erworbene Buch gepflegt. Er ist allerdings der Öffentlichkeit nur noch in Teilen zugänglich.
2 Die Universität zu Köln kann bei einem avisierten Umstieg in ein cloudbasiertes überregionales System nur die dezentralen Bibliotheken „mitnehmen“, deren OPACs im Verbund integriert sind.
Zur Zukunftsperspektive der Bibliothek als „Seminarbibliothek“
1884 beklagt der deutsche Germanist Wilhelm Scherer in einem Schreiben an das Preußische Kultusministerium unzureichende Arbeitsbedingungen an der Berliner Universität, an die er 1877 berufen wurde. Als Grund nennt Scherer das Nichtvorhandensein von Seminarbibliotheken an der Berliner Universität, und er untermauert seine Klage mit einer plastischen Zustandsbeschreibung eines Bibliothekssystems, in dem es neben der Zentralbibliothek keine Seminarbibliotheken gibt:
„..der Arbeitseifer eines Studenten [wird] im Keim erstickt, wenn gleich die ersten Bücher, die er verlangt, verliehen sind, oder wenn er zwar ein Buch B bekommt, aber das Buch A, mittels dessen er allein B verstehen könnte, erst nach 4 Wochen erhalten kann, wo er B schon wieder abliefern muss“.1
Scherer hat mit seiner Eingabe Erfolg. Kaiser Wilhelm I. persönlich stiftet aus seinem „Dispositionsfonds“ eine größere Summe, und mit einer Aufstockung durch das Ministerium kann Scherer eine Arbeitsbibliothek an seinem Seminar einrichten.2
Auch an der Universität zu Köln etablieren sich von der Neugründung 1919 an rasch „Arbeitsbibliotheken“ als Instituts- und Seminarbibliotheken. In Köln etabliert sich ein bis heute bestehendes und gut funktionierendes zweischichtiges Bibliotheksystem. Die Anzahl der dezentralen Bibliotheken wächst mit jeder Erweiterung im Fächerkanon der Universität über die Jahre auf mehr als 150 dezentrale Bibliotheken an.
Diese bilden neben der USB die zweite Säule im Kölner Bibliothekssystem. Durch die räumliche Nähe zu ihren Fächern bedienen die dezentralen Bibliotheken den Bedarf ihrer jeweiligen Fachcommunity optimal.
Will die Einschichtigkeit eines Bibliothekssystems in Gestalt einer alles vereinnahmenden universitären Zentralbibliothek schon aus Kostengründen niemandem in Köln als realisierbar erscheinen, so geraten doch die dezentralen Campus-Bibliotheken heute mehr und mehr unter Zentralisierungsdruck. Alleine aus Gründen der Kostensenkung sollen „Zusammenlegungen“ wo immer dies möglich erscheint, die Anzahl der dezentralen Bibliotheken spürbar verringern.
Viele, insbesondere kleinere Instituts- und Seminarbibliotheken, sind diesem Konzentrationsprozess, bei dem nicht immer die Interessen der Studierenden und Institutsangehörigen im Vordergrund stehen, bereits „abgewickelt“ worden. Weitere werden folgen.
Die Bibliothek des Philosophischen Seminars wird für ihre Fachstudierenden den Charakter einer „Arbeitsbibliothek“ beibehalten, und ihren Bestand an Printmedien wird sie unabhängig von ihrem Standort auch in Zukunft eng an die Lehre und an den Forschungsschwerpunkten und Bedürfnissen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fächergruppe Philosophie ausrichten.
Die elektronischen Medien werden das Buch nicht verdrängen. Das Buch erweist sich als „robuster und widerspenstiger, als uns immer wieder weisgemacht wird“3, und zufällige Glücksfunde, „Serendipitätseffekte“4, ergeben sich in der Atmosphäre einer mit Büchern gefüllten Seminarbibliothek ohnehin eher, als in flüchtigen digitalen Wissensräumen.
(Manfred Bauer im April 2019)
1 Zitat aus: „Experimentieren mit Büchern“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.4.2014, Nr. 78, S N4,
nach „ Deutsche Philologie an den preußischen Universitäten im 19. Jh. Hrsg. von Uwe Mewes, Berlin u. New York. 2011.
2 ebd.
3 Hagner, Michael: Zur Sache des Buches. Göttingen 2015, S. 244-245
4 Der Begriff der „Serendipität“ bezeichnet „eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem“ (Wikipedia)